Ein Besuch beim Stadtimker in Zürich

Stadtimker in ZürichZürich, Anfang September, die letzten heissen Sommertage sind vorüber. Bald verlieren die Laubbäume ihr sommerliches Grün. Abends frischt es auf und die Luft riecht unverkennbar nach Herbst. Stadtbauern und glückliche Gartenbesitzer kommen in den Genuss ihrer Arbeit. Schwer und rot hängen die Tomaten an den Stauden. Kürbisse blähen sich wie orange Vollmonde oder grüne Zeppeline. Nach den Himbeeren kommt jetzt die Zeit der Brombeeren: schwarz und reif locken sie in den dornigen Ranken. Karotten, Kartoffeln und Kohlrabi strecken ihr grünes Kraut in die Höhe: sie wollen raus aus der Erde. Es ist der Anfang der Erntezeit. Unscheinbar nehmen sich in diesem Fest der Farben und Düfte die Stadtimker aus.

Wie bitte? Stadtimker?

Bienenhäuschen sind doch nur am Waldrand oder auf weiten Feldern zu sehen, auf Hügeln oder neben Bauernhöfen. Sie verleihen der Landschaft diese heimelige Exotik, die zu entdecken sich Städter dann und wann aufmachen. Diese Chalets mit ihren lustig farbigen Fächern, rot, gelb, blau, und das lebendige Gesumme der Bienenschwärme davor. Nur nicht zu nahe ran, Bienen sind gefährlich und können saftig zustechen, Allergiker müssen besonders aufpassen.

Ja, Bienen produzieren Honig, sagen wir uns, das Bienenhaus aus der Distanz betrachtend, und Imker holen ihn mitten aus den Bienenschwärmen raus. Ein netter aber einfacher Beruf, gehen wir weiter, Honig bekommen wir ja von unseren Schwiegereltern geschenkt oder kaufen ihn im Supermarkt, wo sich Glas an Glas reiht. Waldhonig, Blütenhonig, M-Budget oder Prix-Garantie. Wenn wir uns etwas Spezielles leisten wollen, kaufen wir Honig aus Guatemala, Guinea oder Südafrika, Fairtrade und Max Havelaar, versteht sich. Oder guten Schweizer Blütenhonig, für den wir auch gerne etwas mehr bezahlen, regionale Lebensmittel sind zu fördern und wir investieren ja in die Schweizer Landwirtschaft.

Ja, die Imker braucht es, ich kenne sogar einen, pflegen wir dann zu sagen, der Vater meines Nachbarn, der imkert doch, oder der Onkel einer Freundin, und wir sind ein bisschen stolz darauf. Ein schönes Hobby, sagen wir und meinen: aber ein bisschen ausgefallen, mit all den Bienen.

Regionale Lebensmittel aus der Stadt

Auch ich kenne einen Imker. Ein Stadtimker in Zürich. Zwischen den Gebäuden der Pädagogischen Hochschule direkt neben der Tramhaltestelle Kunsthaus treffe ich Peter Müdespacher, beschäftigt an seinem Bienenhäuschen mit sieben Bienenstöcken. Das erste Klischee ist widerlegt: geimkert wird nicht nur auf dem Land und Bienenhäuschen gibt es auch in der Stadt. Allein in Zürich gebe es ca. 200 Imker, darunter auch einige Frauen.

Stadtimker in Zürich: Peter MaderspacherMüdespacher legt gleich los. Er ist in seinem Element und erzählt mir während knapp neunzig Minuten fast alles, was es über Bienen zu wissen gibt. Imkern beschränkt sich nicht auf das Einsammeln des Honigs, den die Bienen das Jahr hindurch fleissig produzieren. Die Bienenpflege ist eine Wissenschaft. Fortpflanzung und Organisation des Bienenvolkes sind hoch komplex.

Ein paar Fakten: Ein gesundes Bienenvolk besteht während der Hochsaison im Mai aus ca. 50.000 Bienen. Die Königin legt dann durchschnittlich drei Eier pro Minute. Unbefruchtete Eier ergeben männliche Bienen, also Drohnen, befruchtete Eier weibliche Bienen, sogenannte Arbeiterinnen. Die einzige Aufgabe der Drohnen ist die Befruchtung der Königin auf dem Hochzeitsflug.

Arbeiterinnen haben ein abwechslungsreicheres Leben. In ihrer Entwicklung füttern sie erst die Brut, dann reinigen sie den Stock, konstruieren Waben und bewachen den Eingang. Erst dann fliegen sie aus und sammeln Nektar, Pollen und Wasser: in körperinternen Drüsen entsteht aus diesen Ressourcen Nahrung für Nachwuchs und Königin, Honig als Reserve, Wachs zur Konstruktion und Reparatur der Waben. Höchst vereinfacht gesagt. Für Details direkt beim Imker nachfragen.

Seine Motivation zu Imkern, auch wenn der Honig für wenig Geld in jedem Lebensmittelladen gekauft werden könnte, sei die „Beschäftigung mit einer natürlichen Quelle, die der Mensch seit Jahrtausenden hat.“ Der Vorteil des Standorts in der Stadt gegenüber der Landschaft ist das ausgeglichene Blütenangebot. Auf dem Land gibt es zwar ein grösseres „Blütenvolumen“, die Landwirtschaft fördert jedoch die Monokultur. Werden die Wiesen gemäht oder verblühen die Pflanzen grosser Felder wie Raps oder Sonnenblumen, herrscht Futtermangel. In der Stadt ist das Angebot spärlicher, dafür diversifizierter. Dadurch gibt es über das Jahr hinweg ein ausgeglichenes Pollen- und Nektarangebot. Dieses Jahr war für Müdespacher besonders ertragreich: 120 Kilogramm Honig, gesammelt von sechs Bienenvölkern.

Ein weiterer Vorteil für Bienen in der Stadt ist das wärmere Klima. In hügeligen oder bergigen Gebieten beginnt die Pflanzenwelt oft erst im April zu blühen, während in der Stadt schon Ende Februar Millionen von Primeln ihre Köpfchen der Sonne entgegenstrecken. Im Gegensatz zu ähnlichen Insekten wie Wespen oder Hummeln überleben Bienenvölker den Winter, indem spezialisierte Bienen die Waben heizen. In Wespen- oder Hummelvölker überwintert nur die Königin, im Frühling muss sie erst ihr Volk zeugen. Dann ist die Honigbiene schon unterwegs und bedient die Blüten ohne Konkurrenz. Ein höchst spezialisiertes Tier, schwärmt Müdespacher.

Es gibt Imker, sage ich, die vom Bienengift abhängig sind und darum bei Bedarf eine Biene absichtlich zerquetschen, um zu ihrem Stoff zu gelangen. Müdespacher lacht nur, er hält dies für ein Märchen. Er werde höchst selten gestochen, und wenn, dann mache ihm das nicht viel aus. Also keine Angst liebe Stadtbewohner, Bienen sind harmloser als wir meinen.

Für ein weiteres Märchen hält er die „Attacken der asiatischen Killer-Hornissen“, wie vor zwei Jahren das Schweizer Gratiszeitung 20minuten titelte. Aber das Bienensterben sei ein Problem, sagt er besorgt. Den vorletzten Winter überlebten 30 Prozent der Bienenvölker nicht. Hauptschädling ist die Varroa-Milbe. Die Bienen können jedoch geschützt werden mit natürlichen Mitteln wie Ameisensäure oder Thymol, ein ätherisches Öl auf Thymianbasis. Damit sichert er das Überleben seiner Bienen. Es brauche jedoch mehr Bienenstöcke. Es muss mehr geimkert werden. Eine Trendwende ist nötig.

Also liebe Stadtbauern, nichts wie ran

Ein Bienenvolk einer gezüchteten Königin kostet rund zweihundert, eine Zuchtkönigin alleine 50-60 Franken. Im Frühling, wenn die Bienenvölker ausschwärmen, waren sie bis anhin für 10 Franken zu haben, das Kilo Bienen. Direkt von der Feuerwehr. Ob dieser Usus noch gebräuchlich ist im Zeitalter von Keim- und Seuchenausbreitung müsste verifiziert werden. Um ein Bienenvolk zu beherbergen muss nicht ein ganzes Bienenhaus gebaut werden, es reicht eine Kiste mit Wabenrahmen. Wer gerne ein bisschen mehr Design hat, lese den Blogeintrag „Behagliche Unterkunft“ von über_Land, veröffentlicht am 31. August.

200 Imker in Zürich tönt nach viel, das Blütenangebot reicht noch für viele mehr. Begnügen wir uns nicht mit der Bekanntschaft von Imkern vom Hörensagen. Begnügen wir uns nicht mit dem Überangebot im Supermarkt. Seien wir innovativ. Lasst unsere eigenen Bienen pflegen und unseren eigenen Honig gewinnen, auf dem Balkon, im Stadtgarten, im Hinterhof. Die Stadt ist ein ideales Biotop.

Alles über Bienen:
Phänomen Honigbiene“ von Jürgen Tautz.
Homepage der Schweizer Bienenzeitung: http://www.vdrb.ch/

Photo (1): photocase/annelilocke
Photos (2+3): Peter Müdespacher

Autor dieses Blog-Eintrags ist der Züricher Benedikt Pestalozzi. Er ist über_Land-Lesern kein Unbekannter, war er doch der Protagonist im Beitrag „Aus dem Leben eines Landdienstlers“ vom 29. August. Benedikt wird künftig für über_Land Schweizer Beiträge von Bienen, Urban Farmer oder Guerilla Gardener bloggen.

3 Gedanken zu „Ein Besuch beim Stadtimker in Zürich

  • 16. September 2011 um 22:17 Uhr
    Permalink

    Gut gelungen! Wer meldet sich als Jungimker? Man kanndas Imkern in guten Kursen lernen. (Zürcher Bienenfreunde)

    Antwort
    • 17. September 2011 um 09:11 Uhr
      Permalink

      Das Stadtimkern wird ja glücklicherweise immer mehr zum Trend. In Wien gibt es auch Stadtimker. Selbst auf dem Dach der Wiener Staatsoper sind Bienenstöcke untergebracht. Das ist zwar den Bienen egal, ob ein paar Meter drunter Hochkultur produziert wird, trotzdem eine nette Geschichte.

      Antwort

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