Auslaufmodell: Bio. Nachfolger: BioPlus?

Die biologische Landwirtschaft nähert sich immer stärker der konventionellen Landwirt-schaft: Die Betriebe werden größer, es kommt zu Spezialisierungen in Tierhaltung oder Ackerbau, zu vermehrtem maschinellem Einsatz und immer längeren Transportwegen. Aber längst nicht alle Bioproduzenten springen auf diesen Zug auf. Es gibt etliche Bauern und Bäuerinnen die sich bei der Produktion von Lebensmitteln nicht nur an die EU-Öko-Verordnung halten, sondern höhere, weitgehend nach ethischen und nachhaltigen Gesichtspunkten orientierte Produktionsstandards, anstreben. Isabella Paulina Hämmerle hat sich in ihrer Diplomarbeit „bioPlus“-Leistungen näher angesehen und analysiert darin, warum Kunden zu nachhaltigen Zusatzleistungen greifen und ob sie bereit wären, dafür auch mehr zu bezahlen. Lesen Sie auf überLand erstmals die Ergebnisse dieser Studie.Diese Zusatzleistungen, sogenannte „bioPlus“-Leistungen, sind beispielsweise: regionale Vermarktung und Einsatz regionaler Betriebsmittel, Schutz der Artenvielfalt durch Anbau alter Kultursorten oder Tierrassen und Streuobstwiesen, ein schonender Umgang mit Ressourcen (Wasser, erneuerbare Energien, Müllvermeidung- und Wiederverwertung,…), soziale Projekte, Angebot von Therapieplätzen, faire Bedingungen für Arbeitnehmer, Wahrung von Bräuchen und Traditionen durch traditionelle Herstellungsmethoden, Produktion regionaler Spezialitäten, Erhalt alter historischer Bauernhöfe oder auch eine besonders artgerechte Tierhaltung. Die Einhaltung höherer Produktionsstandards ist natürlich mit höheren Produktionskosten verbunden und kann dadurch die Wettbewerbsfähigkeit stark einschränken. Die Konsumenten werden jedoch immer kritischer und verurteilen die Globalisierung der Landwirtschaft und deren Auswirkungen auf die Umwelt, die Gesellschaft und die Wirtschaft zusehends, was nicht zuletzt an den steigenden Absatzzahlen von Bio- und fair gehandelten Produkten zu erkennen ist. Die Frage ist, ob das Bewusstsein der Konsumenten soweit reicht, dass sie Interesse an „bioPlus“-Produkten (Bioprodukte von Betrieben die „bioPlus“-Leistungen vollbringen) haben und bereit wären die höheren Produktionskosten zu vergelten. Die Diplomarbeit geht der Frage nach, wie Konsumenten auf diese Zusatzleistungen reagieren, bzw. welche Zusatzleistungen präferiert werden, welche Faktoren das Kaufverhalten und Verhaltensintentionen beeinflussen und inwieweit die Zusatzleistungen an die Konsumenten kommuniziert werden sollen.

Studienteilnehmer sind bereit, mehr zu bezahlen

Die Ergebnisse der Studie zeigen ein reges Interesse der 196 befragten Personen an „bioPlus“-Produkten. Besonders Produkte mit den Zusatzleistungen „Regionalität“, „artgerechte Tierhaltung“ und „schonender Umgang mit Ressourcen“  würden die Studienteilnehmer kaufen und wären auch bereit einen Preisaufschlag zwischen 13% und 23% (im Vergleich zu „normalen“ Bioprodukten) zu bezahlen. Auf weniger Begeisterung stoßen hingegen die Zusatzleistungen „Wahrung von Bräuchen und Traditionen“ und „soziale Projekte“. Dies lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass „Regionalität“, „artgerechte Tierhaltung“ und „Ressourcenschonung“ in den Köpfen der Konsumenten viel stärker als Teil der biologischen Landwirtschaft verankert sind als „Wahrung von Bräuchen und Traditionen“ und „soziale Projekte“. Letztere zwei gehören aber genauso zur ursprünglichen Philosophie der biologischen Landwirtschaft wie erstere drei.

Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung ist, dass besonders jene Personen bereit sind „bioPlus“-Produkte zu kaufen

  • die eine positive Einstellung zu „bioPlus“-Produkten haben
  • die häufig Bioprodukte kaufen
  • die davon überzeugt sind, durch ihr eigenes Handeln einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten zu können
  • die oft auf Märkten, in Biofachgeschäften oder direkt am Bauernhof einkaufen
  • deren Freunde und Familie „bioPlus“-Produkte toll finden.

Die Ergebnisse geben einen ersten Hinweis darauf, dass die Kommunikation von erbrachten Zusatzleistungen an die Konsumenten durchaus sinnvoll ist. Dadurch besteht die Möglichkeit sich von anderen Bioproduzenten abzuheben und neue kritische Konsumenten für sich zu gewinnen. Die Zusatzleistungen würden von den Konsumenten, wie es scheint, auch honoriert werden. Da besonders Personen die bereits häufig zu Bioprodukten greifen und jene die ihre Einkäufe auf Märkten, in Biofachgeschäften sowie direkt am Bauernhof tätigen an „bioPlus“-Produkten interessiert sind, bietet sich natürlich eine Vermarktung über eben jene Verkaufsstellen besonders an. Auch eine „Schulung“ der Konsumenten ist zu empfehlen, d.h. sie darüber zu informieren, welche Auswirkungen ein Produkt auf die Umwelt, die Gesellschaft, aber auch die Wirtschaft und die Kultur hat. Sie müssen darin bestärkt werden, dass sie mit ihren Konsumentscheidungen aktiv zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen können. Ein aus der Psychologie bekanntes Phänomen – der sogenannte „mere exposure effect“ der besagt, dass die bloße Darbietung eines Stimulusobjekts die Einstellung einer Person zu diesem Objekt positiv beeinflusst – könnte dafür mitverantwortlich sein, dass jene Zusatzleistungen die schon relativ häufig an die Konsumenten kommuniziert werden (Regionalität, artgerechte Tierhaltung, Ressourcenschonung) beliebter sind als jene, die bisher kaum kommuniziert werden (soziale Projekte, Wahrung von Bräuchen und Traditionen). Sollte dies der Fall sein, würde sich eine stärkere Kommunikation auch der weniger beliebten Zusatzleistungen mehr als nur anbieten.

Isabella Paulina Hämmerle: Diplomarbeit „Bewertung von „bioPlus“-Leistungen“, Analyse der Verhaltensintention, Produkte aus biologischem Landbau mit nachhaltigen Zusatzleistungen zu kaufen, Universität Wien; Betreuer: Ao.Univ.-Prof. Dr. Rainer Maderthaner, Co-Betreuer: Univ. Prof. Dr. agr. biol. Bernhard Freyer

Kritische Nachbetrachtung

BioPlus GemüseEs ist erfreulich zu sehen, dass die ganze Bio-Bewegung Einzug in die Forschung nimmt, da sie dadurch auch dem Vorwurf nur für einen elitären Kreis zugänglich zu sein enthoben wird. Aber wie es eingangs erwähnt wird, scheint in der Zwischenzeit die Revolution ihre Kinder zu fressen, da es sonst nicht notwendig wäre, die Spaltung von „konventionell“ biologischen Produkten zu BioPlus-Produkten näher zu untersuchen. Man muss daher generell eine Systemkritik anbringen: ist doch letztlich die Biobewegung angetreten, verschiedene Komponenten (artgerechte Tierhaltung, Regionalität, soziale Aspekte etc.) in der Produktion von Lebensmitteln zu berücksichtigen. Nun bedarf es aber anscheinend einer Erweiterung des Bio-Begriffes: die Erweiterung um den Zusatz „plus“ zum BioPlus um vermeintliche Bio-Selbstverständlichkeiten erfassen zu können (und in weiterer Folge auch monetär durch höhere Preise abzugelten). Nur stellt sich dann im Umkehrschluss die Frage – wozu bezahlt der Konsument bereits heute einen höheren Preis für Bio-Produkte, die dann anscheinend nicht das Versprechen einhalten, das sie vorgeben?

Vom BioPlus zum BioTripplePlus?

Positiv ist, dass für die Konsumenten die Produktion von Lebensmittel ein wichtiges Kriterium geworden ist und sie auch bereit sind, das (z. B. durch höhere Preise) wertzuschätzen. Realistischerweise müsste man natürlich fragen, welchen Anteil dieser bewußte Konsumententyp an der gesamten Bevölkerung einnimmt und ob die Studie nicht Gefahr läuft, sich in einem Kreis von Befragten zu bewegen, die sowieso bereits für das Thema sensibilisiert ist. Einen Hinweis darauf gibt bereits die Auflistung jener Personen, die bereit sind BioPlus-Produkte zu kaufen – sind es doch bereits Personen, die eine positive Einstellung zu BioPlus Produkten haben (was ist dabei übrigens Ursache und Wirkung?) oder die häufig Bioprodukte kaufen. Doch wie sieht es in der breiteren Bevölkerungsschicht aus? Sind diese auch bereit diesem Themenkomplex derartige Bedeutung beizumessen (und in weitere Folge auch zu zahlen)?

Vielleicht relativiert sich dann auch „mere exposure effect“ – vielleicht ist es den Leuten gar nicht so wichtig, soziale Projekte oder Wahrung von Bräuchen und Tradition mit dem Kauf der Bioprodukte zu unterstützen? Das ist vielleicht bereits eine Überdehnung des Bio-Begriffs und hat für die Bevölkerung nicht eine derartige Gewichtung (dazu müsste man aber eine genauere Analyse durchführen). Und auch praktisch gesprochen: werden diese zusätzlichen Eigenschaften dann mit einem noch erweiterten Biobegriff vermarktet: einem BioPlusPlus? Und gibt es dann irgenwann auch ein BioTripplePlus?

Diese Überzeichnung möchte auf eine Problematik aufmerksam machen – wir haben bereits heute eine Komplexität erreicht, die es unmöglich macht den verschiedenen Gütezeichen zu folgen und sie auch zu unterscheiden. Mit jedem neuen Zeichen wird eine andere Eigenschaft hervorgehoben – sei es die regionale Wertschöpfung, der geringe CO2-Verbrauch, die artgerechte Tierhaltung, der gentechnikfreie Anbau usw.; die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Es ist vielleicht auch zuviel verlangt, ein einziges, allerklärendes und heilbringendes Gütezeichen zu verlangen. Und selbst wenn es das geben sollte: der kritische Konsument muss sich dann in einer nächsten Stufe mit Fragen auseinandersetzen, ob es sinnvoller ist, heimische Äpfel im April zu konsumieren, die durch die Kühlung seit der Ernte bereits mehr CO2 produziert haben als Weintrauben aus Chile trotz ihres langen Transportweges oder ob Tomaten aus Südspanien wegen der Bewässerung oder der sozialen Bedingungen (siehe dazu: Zum Tag der Paradeiser oder auch der Gastkommentar von Frida Kieninger) überhaupt in Erwägung gezogen werden sollten.

Um auf die Studie zurückzukommen: ein Teil der Konsumenten scheint bereit zu sein, nachhaltige Zusatzleistungen zu honorieren. Nun sind die Landwirte in der Pflicht ihre Zusatzleistungen öffentlich zu machen – je offener die Türen und Tore sind und je mehr darüber berichtet wird (zum Beispiel auf überLand), desto einfacher wird es sein die Konsumenten von der Nachhaltigkeit zu überzeugen. Und da geht es nicht darum, sich hinter einem Gütezeichen zu verstecken. Da gilt es Vertrauen aufzubauen und aktiv auf die Verbraucher zuzugehen – Gelegenheiten gibt es dazu viele.

Photo (1): photocase/Koosinger; Photo (2): photocase/andlostluggage

2 Gedanken zu „Auslaufmodell: Bio. Nachfolger: BioPlus?

  • 7. Mai 2012 um 21:37 Uhr
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    super spannender Beitrag … ich denke nur, dass man als konsument bald gar keinen Durchblick mehr haben wird. Soll ich jetzt bio einkaufen oder bio plus oder besser nur regional ohne bio oder doch regional mit bio und/oder ohne … da wird viel abverlangt.

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    • 7. Mai 2012 um 21:45 Uhr
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      Ja, da wird dem Konsumenten schon viel abverlangt. Entweder man hat die Zeit, um sich nur mehr damit zu beschäftigen, oder man kann in Produkte vertrauen. Nur das Vertrauen muss aufgebaut werden, da sind die Landwirte gefragt.

      Antwort

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