Gastkommentar von Frida Kieninger

Das Gemüse von Almeria, Spanien, wächst in einem gigantischen Plastikmeer. Ganz Zentraleuropa wird mit dieser Ware beliefert.
Die Linguistik-Studentin Frida Kieninger hält sich gerade in Südspanien auf und arbeitet dort an ihrer Diplomarbeit zum Thema Kommunikation zwischen den LandarbeiterInnen Almerias. Sie hat für die österreichische Tageszeitung, der Standard, einen Gastkommentar verfasst, den wir Ihnen auf keinen Fall vorenthalten wollen.

Der weite Weg von der Gurke zum Kaufverstand

Jetzt ist es also die Gurke. War da nicht auch mal was mit Tomaten aus Almería? Gemeinsam mit den Gemüsetransportern bahnen sich die Skandale aus dem Süden ihren Weg in unsere Supermärkte. Nur, dass der Alarm diesmal ein falscher war. Die grüne Feldfrucht ist nicht die gesuchte Darminfektionsquelle. Zu denken gibt die Angelegenheit trotzdem.

Gemüse und Obst aus Andalusien findet sich in fast allen Supermärkten Österreichs – ganz Zentraleuropa wird von Südspanien aus beliefert. Die Aufregung um den EHEC-Erreger hat gezeigt, wie sehr die ProduzentInnen in diesem Land von den AbnehmerInnen im Norden abhängig sind und welche wirtschaftlichen Folgen auf Erzeugerländer ein Gerücht in einem der wichtigsten Abnehmerländer haben kann.
Wächst hier das Bewusstsein für die Macht der KonsumentInnen? Wäre die vermeintliche Gurkenkrise nicht eine Chance, die Agrarhandelsbeziehungen zwischen Spanien und den Abnehmerländern zu verändern? Immer wieder beunruhigen Nachrichten über unmenschliche Arbeitsbedingungen und gänzlich ohne natürliches Licht und Erde und mit enormem Einsatz von Herbiziden und Insektiziden gezogenes Gemüse die KundInnen. Bis jetzt ist es meist bei einem unangenehmen Beigeschmack beim Einkaufen geblieben, nun könnte das Bewusstsein für den Einfluss, den die Großverteiler in Zentraleuropa auf die Geschehnisse im Gemüsegarten Europas haben, zu einem Aha-Erlebnis bei den KäuferInnen führen: Dazu, dass sie von den Verteilern verlangen, auf fairere Arbeitsbedingungen zu bestehen. Auf eine für die Umwelt verträglichere Art der Landwirtschaft. Denn die Ausrede, dass die Geschehnisse in den KonsumentInnenländern mit denen in den Produktionsländern nicht viel zu tun haben, gilt nicht mehr. Die, dass die Großverteiler ihre Forderungen bei den LieferantInnen nicht durchsetzen können, auch nicht. Und dass die Menschen, die schlussendlich im Supermarkt zu entscheiden haben, ob sie die Melanzani aus Almería oder die Erdbeere aus Huelva in den Einkaufswagen legen, keine Ansprüche an das haben dürfen, was sie schlussendlich essen, schon gar nicht.

Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht.

Der Kunde schon. Die meisten werden von pestizidspritzenden Senegalesinnen ohne Schutzanzug und substratgezogenen Monstertomatenpflanzen gelesen haben. Derartige Science-Fictionszenarien lassen sich aber leicht in einer peripheren Ecke des für Essethik zuständigen Gehirnareals abspeichern. Nicht, wenn man ein Flugticket nach Almería bucht und sich dort einfach umschaut. Die Ausrede, dass die Zucchini, die am Küchenregal liegt, damit bestimmt nichts zu tun hat, dass das alles nur einen kleinen Teil der Produktion betrifft, stirbt, sobald man das gigantische Plastikmeer, das man bisher nur auf Fotos bestaunt hatte, mit eigenen Augen sieht. Wenn man einen Blick in die Gewächshäuser wirft und dort ungewöhnlich aufgeblähte Stauden aus Plastiksäcken wachsen sieht. Und vor allem, wenn man mit den ArbeiterInnen spricht. Nicht nur einige wenige, fast alle der vielen MarokkanerInnen, RumänInnen, AfrikanerInnen und LateinamerikanerInnen berichten von Sechzehnstundentagen in den Packhallen, von unerträglicher Hitze in den Gewächshäusern, von nichtvorhandenen Gasmasken, brutaler Behandlung durch Vorgesetzte und Arbeitsverträgen, die absolut nicht eingehalten werden.

Auch wenn sich herausgestellt hat, dass die EHEC-Bakterien nicht von Andalusiens Gemüse kommen, so sind all die anderen Umstände, unter denen das, was wir von dort beziehen, kein Fehlalarm, sondern Tatsachen.

Die Schauerge-schichten, die sich um unser Gemüse ranken, sind keine Ausnahme. Dessen müssen wir uns bewusst sein, und das Wissen um die Vorkommnisse in Andalusien und das um die Fä-
higkeit, Gemüse und Obst zu for-
dern, das diesen Namen auch verdient, verbinden. Damit der Hausverstand auch mehr als nur „Billa“ sagt.

Photo (rechts): (C) Marco del Pra‘
Photo (ganz oben): Wikipedia/Schumi4ever

3 Gedanken zu „Gastkommentar von Frida Kieninger

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