Brasilien (3): Die Tabakbauern zahlen einen hohen Preis

Tabakbauern von Agudo Porträtüber_Land-Gast- autor Benedikt Pestalozzi besuch- te während seiner Brasilien-Reise die UrbanFarms in den Armenvierteln Sao Paolos, traf auf einen Imker mit Killerbienen und machte sich anschließend zu den Tabakbauern von Agudo auf. In seinem dritten und letzten Brief be- schreibt Benedikt seine Eindrücke von den Bauern, die unter härtesten Bedingungen für den zweitgrößten Tabakkonzern ihren Alltag fristen. Liebe Barbara,

viele Bekannte vom Imker Lorivo Schüller bauen in der Umgebung von Agudo Tabak an und wohnen ziemlich abgeschieden auf ihrem Hof. Diese Lebensform ist hier der Normalfall. 2006 produzierte der Bundesstaat Rio Grande do Sul zusammen mit den beiden Nachbarstaaten Parana und Santa Catarina 96,8% des brasilianischen Tabaks. Fast 200.000 Familien leben hier vom Tabakanbau. Sie nehmen die schlechten und gesundheitsschädigenden Arbeitsverhältnisse in Kauf, um die Kredite mit Laufzeiten bis zu 20 Jahren abzubezahlen und den Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Die meisten haben sich bei Souza Cruz verpflichtet, die Tabakernte keinem anderen Abnehmer anzubieten und nach den von ihnen aufgestellten Richtlinien zu produzieren. Souza Cruz, eine Tochterfirma von British American Tobacco, dem weltweit zweitgrößtem Tabakkonzern, definiert den Tabakpreis je nach Qualität. Die Bauern müssen mit dem ihnen zugeteilten Erlös zufrieden sein. So auch bei der Familie von Flavio und Fernanda Kobs-Schmengler.Tabakbauern von Agudo

Sie beklagen sich jedoch nicht und zeigen uns den Lagerschuppen, wo der Vater gerade Tabakblätter zusammen bündelt. Gemäss medizinischen Untersuchungen nimmt eine Person während vier Stunden Arbeit mit Tabakkontakt so viel Nikotin auf wie ein Raucher mit zwanzig  Zigaretten. Ob wir auch andere Tabakbauern besuchen würden oder sogar die Firma, fragt uns Fernanda Kobs-Schmengler interessiert: Ihr Bruder ist Chauffeur bei Souza Cruz und holt jeweils die Ernte ab.

Selbstverständliches Übel: Kinderarbeit

2009 wurden in Brasilien 715.000 Tonnen Tabak produziert und 85% davon exportiert. Das Land ist seit 1993 der grösste Tabakexporteur. Das hängt mit den guten Anbaubedingungen zusammen, Klima und Boden, aber auch mit den tiefen Preisen für die Tabakbauern, deren Einbindung in das Produktionssystem durch die internationalen Unternehmen. Zudem unterstützen Banken das ganze System mit einer schnellen Finanzierung. Die hohen Zinsen halten die Kreditnehmer auf Trab. Ohne Kinderarbeit kommen sie kaum über die Runden. Ein Tabakbauer in Brasilien bekommt für seine Ernte 4.5mal weniger als in den USA, 7.5mal weniger als in Europa und 13.5mal weniger als in Japan. Diese Zahlen stammen von sindifumo-sp, einer Gewerkschaft von Tabakbauern. Der Erlös von Tabak ist jedoch um ein Vielfaches höher als Reis oder Soja, den zweit- und dritthäufigsten Pflanzungen der Region. Darum versuchen immer wieder einfache Leute das schnelle Geld. Doch wer als Produzent ins Geschäft einsteigt, begibt sich in ein unübersichtliches Geflecht von Bedingungen und Abhängigkeiten, die von oben diktiert werden. Die ganzen Hintergründe sind z. B. in der Reportage Kassensturz vom April 2010 zu sehen.

Tabakbauern von Agudo TabakAuch Lorivo Schüller half im Tabakanbau seiner Schwiegereltern. Vor zehn Jahren gelang ihm der Ausstieg und er lebt seither hauptsächlich vom Honigvertrieb. Vielen gelingt dieser Schritt nicht. Oder viele kennen ihre eigene Abhängigkeit gar nicht. Oder die Tatsachen werden zur eigenen Legitimation oder die der Industrie anders dargestellt. Oder vielleicht gefällt einigen Tabakbauern ihre Freiheit wirklich. Eine Familie auf der Homepage von Agrotabaco, wohl einer Vereinigung für den Tabak, lobt die Freiheit auf dem Land und verteufelt die Abhängigkeit in  einem nine-to-five-Job in der Stadt. Mit einem Familien-Portrait wollen sie ihre Aussage unterstützen.ueberland.4.brasilien

Tabakanbau fordert seine Opfer

Nach unseren Eindrücken ist es mit dem Tabak- anbau wie mit dem Tabakgenuss: Er macht auf  eine ungesunde Weise abhängig und fordert seine Opfer: im Tabakanbaugebiet ist die Suizid-Rate siebenmal höher als in vergleichbaren Gebieten in Brasilien. Ob dafür das Nikotin, die finanzielle Abhängigkeit oder die Chemikalien der Düngemittel verantwortlich sind, konnte bisher nicht belegt werden. Dass aber die Bauern mit einem besseren Tabakpreis auch ein freieres und besseres Leben hätten, scheint unbestritten. Mit diesen Tatsachen konfrontiert, weisen Vertreter der Tabakindustrie jede Schuld von sich. Kinderarbeit ist bei Drohung auf Vertragskündigung verboten. Die Bauern sind verpflichtet, Schutzanzüge beim Ausbringen des Düngers zu tragen. Auch bei strahlender Sonne und 30 Grad im Schatten. Arbeiten sie ohne, sind sie selber schuld. Die Mittel müssen in einem Hochsicherheitskasten mindestens 30 Meter vom nächsten Gebäude auf dem Hof weggeschlossen werden und dürfen nur für den Gebrauch auf den Feldern hervorgeholt werden. So kann Souza Cruz für keinen Nebeneffekt zur Verantwortung gezogen werden.ueberland.5.brasilien

Seit einigen Jahren sind die Mechanismen von Kleinbauern, Großabnehmern, und Banken Gegenstand verschiedener Studien und Reportagen geworden. In dieser Bewegung ist auch das Dokument des Ministeriums für Landwirtschaft zu sehen, das als Alternative zum Tabak den Anbau von Feigen, Melonen, Zitrusfrüchten, Süßkartoffeln, Maniok und eben von Honig empfiehlt. Doch solange mit dem Tabak trotz miesen Bedingungen mehr Geld gemacht werden kann, werden die Alternativkulturen die Ausnahme bleiben.

Wir sind froh, als wir abreisen können. Den Geschichten der Tabakbauern war irgendwie nicht zu trauen. Sie gaben sich glücklich, ihre Blicke schienen jedoch um Hilfe zu bitten.

ueberland.6.brasilienEine halbe Stunde nach Agudo fahren wir bei Santa Cruz do Sul vorbei, der nächsten größeren Stadt und sogenannten Hauptstadt des Tabaks. Wer in die Stadt fahren will, muss unter diesem Bogen durch und sich symbolisch vor den Stadtherren verneigen: rechts das Stadtwappen und auf der linken Seite: Souza Cruz.

Alle Fotos: © Benedikt Pestalozzi

Über den Autor: Benedikt Pestalozzi machte schon als Jugendlicher seine ersten landwirtschaftlichen Erfahrungen über den Agriviva Landdienst bei einer Bauernfamilie; Jahre später wird er als Mit-Initiator des Züricher Stadiongartens aktiv. Sein besonderes Interesse gilt der Stadtimkerei.

Ein Gedanke zu „Brasilien (3): Die Tabakbauern zahlen einen hohen Preis

  • 29. April 2013 um 07:06 Uhr
    Permalink

    Das ist ebenso spannend wie erschütternd, danke für den Bericht! Alle – auch viele Raucher 😉 – reden von Fair Trade und bio (und kaufen wohl auch solche Produkte). Bei Zigaretten scheinen diese Begriffe nicht zu existieren – gibt es überhaupt fair produzierten/gehandelten, biologisch angebauten Tabak?
    Hoffe, dass diese Story vielen zu denken und handeln gibt!

    Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

32 − 24 =