Denn sie säen im Herbst und ernten im Winter

über_Land-Gastautorin Brigitte Kranner war bei eisiger Kälte zu Besuch in der City Farm Augarten mitten in Wien. Trotz Minusgrade und Maskenpflicht wurde reichlich verkostet. Initiator Wolfgang Palme führte persönlich durch die Vielfalt des Wintergemüses.

„Wir sind im Schaugarten, kosten Sie alles, was Sie möchten“, lädt uns Wolfgang Palme ein und beginnt damit die Tour durch die City Farm Augarten. Eine Gartentour an einem der kältesten Nachmittage in diesem Winter: Minusgrade und dazu ein eiskalter Wind aus der Arktis. Handschuhe abstreifen, etwas Grünes abzupfen, Maske kurz wegnehmen, konzentriertes Schmecken, schnell wieder die Handschuhe anziehen, denn die Finger sind schon unansehnlich gerötet. Diesen Vorgang wiederholen wir sicherlich an die 30 Mal an diesem Nachmittag.

Wir sind im Schaugarten, kosten Sie alles, was Sie möchten.

Wolfgang Palme, City Farm Augarten

Aufs Aussehen kommt’s nicht drauf an

Nicht immer kann man das Gemüse sofort als solches erkennen. Da gibt es eine zirka 20 Zentimeter hohe Pflanze mit dunklen, länglichen Blättern, übersät mit Warzen – so schaut es für uns Laien zumindest aus. „Das ist Palmkohl“ erklärt Wolfgang Palme, Initiator der City Farm. „Ein zweijähriges Gemüse, das man den ganzen Winter über ernten kann, reich an Vitamin C und B ist und – wie man heute sagt – zur Kategorie Superfood gerechnet wird“, geht Palme ins Detail. Pflücken, Schnee abschütteln und dann kräftig zubeißen. Erst muss man irgendwie das gefrorene Wasser aus dem Blatt rausbringen und dann folgt ein herrlich frischer Kohlgeschmack.

City Farm Augarten

Weiter geht unsere winterliche Gourmet Tour. Eine unglaubliche Vielfalt an sogenannten Asia Salaten lässt unseren Gaumen frohlocken und unsere steifgefrorenen Finger und Zehen vergessen. Die meisten schmecken delikat, manchmal scharf, nach Kren und erinnern an Wasabi. Sie sind fragil und zartblättrig: eher würde ein Windhauch sie umhauen, als dass sie diesen eisigen Temperaturen trotzen. So verabschieden wir uns von einem weiteren Vorurteil. Spannend.
Umrahmt wird diese Testreihe vom Gesang der Wiener Sängerknaben, die als Nachbarn bei offenen Fenstern proben. Stilvoll.

Immer schon Gemüse

Rucola, Rauke, Mangold, Sauerampfer, Schildampfer oder diverse Kressen runden unser frostiges, vegetarisches Menü ab. Dazu gibt es jede Menge Tipps vom Experten Palme: Wer im Winter ernten will, muss im Herbst säen; fürs Wintergemüse ist Feuchtigkeit das Problem, nicht Minusgrade. Palme weiß, was er tut: Er leitet seit 1994 die Abteilung Gemüsebau an der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau in Wien-Schönbrunn und hat 2011 einen pädagogischen Garten eröffnet. Das war der Ausgangspunkt für die City Farm. Die Farm teilt sich heute in einen Schaugarten – jener Teil, durch den wir uns gerade gekostet haben – und einen pädagogischen Garten, wohin wir nun gehen.

City Farm Augarten

Im pädagogischen Teil haben Schulklassen die Möglichkeit, ein Gemüsebeet ein Jahr lang zu betreuen. Außer zurzeit von Corona. Es gibt einen Schulungsraum, das größte Insektenhotel der Stadt und an einer Kräuterpyramide wird gerade gebaut. Weder im Schau- noch im Pädagogikgarten erinnert irgendetwas an geometrisch angeordneten, streng nach Sorten getrennten Gemüsegärten, wie wir sie alle gut kennen. Gemüse, Unkraut, Gras, Insekten, Tiere und der Mensch leben einträglich miteinander: laissez faire eben.
Sogar die Schuhe von Wolfgang Palme leben diesen Spirit: mit zwei verschiedenen Schuhbändern aus zwei verschiedenen Materialien. Das hat keine Bedeutung. Wichtig ist, dass es dem Gemüse gut geht, das ganze Jahr über.

Wir verlassen den pädagogischen Garten und Wolfgang Palme schließt akribisch das Türl. Im Augarten gibt es nämlich richtig viele Hasen und die würden sich liebend gern über das Gemüse hermachen. Noch dazu, wo es in diesem Garten sogar den ganzen Winter über jede Menge Leckerbissen gibt. 

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