Martin Grassberger: Das unsichtbare Netz des Lebens

Biodiversität

In seinem neuesten Werk knüpft Martin Grassberger da an, wo sein letztes und preisgekröntes Buch „Das leise Sterben“ geendet hat. Eindrucksvoll und umfassend beschreibt der Autor die Zusammenhänge und komplexen Verflechtungen unserer Gesundheit, unserer Lebens- und Ernährungsweise und der Biodiversität des Planeten. Ein einfaches „richtig“ oder „falsch“, „ja“ oder „nein“, „gut“ oder „schlecht“ gibt es hier nicht. Eine Besprechung von Gastautorin Katharina Hoff-Powell.

Das Buch beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod eines Holobionten (das ist eine Gruppe verschiedener, voneinander abhängiger ökologischer Organismen, die als Ganzes zusammenleben). Dazwischen blüht das Leben in und um uns herum, Grassberger beschreibt anhand einer Vielzahl wissenschaftlicher Quellen die Wechselwirkungen im Netz des Lebens, wie zum Beispiel die Tatsache, dass Viren nicht zwingend schlecht sein müssen. Im Gegenteil: Sogenannte Retroviren haben die Entwicklung der menschlichen Spezies teilweise gefördert und wurden im Zuge dessen sogar Teil unseres Genoms. Darüberhinaus bilden winzig kleine Mikroben den größten Teil der Biodiversität der Erde. Wir können sie nicht sehen, und doch sind sie in der Luft, im Wasser, im Boden und in uns anzutreffen und wir sind auf sie angewiesen, denn ohne Mikroben könnten wir weder essen noch atmen.

Interessant ist, dass zwar zwischen dem Mikrobiom des Darms, der Haut, des Bodens usw. unterschieden wird, es aber schlussendlich nur ein einziges großes Mikrobiom, das der gesamten Biosphäre gibt. Schon in seinem letzten Buch hat Martin Grassberger auf den Zusammenhang zwischen dem „leisen Sterben“ des Bodens, der Bauern und des menschlichen Mikrobioms hingewiesen.

Was das innere (und äußere) Ökosystem schädigt

Das Mikrobiom ist einer Vielzahl von Einflüssen unterworfen. Die Umstände der Geburt, die Genetik, Lebensort, Lebensstil und Ernährung prägen uns weit mehr, als man vermuten möchte. Umweltfaktoren wie Umweltchemikalien, Medikamente, Nahrungsmittelzusatzstoffe und Mikroplastik spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Krankheiten. Auch zu wenig Schlaf und Bewegungsmangel tragen das ihre bei. Hier geht der Autor detailliert auf diese und noch mehr Faktoren und ihre Wirkung auf das Mikrobiom ein.

Den inneren Garten kultivieren

Obwohl sich die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms jedes Menschen aufgrund von Ernährungs- und Lebensweise unterscheidet und daher z. B. Medikamente auch bei jedem und jeder Patientin anders wirken, gibt es doch eine grobe Ernährungsempfehlung, die der Gesundheit zuträglich sein kann: Eine vorwiegend aber nicht ausschließlich pflanzliche und abwechslungsreiche Ernährung mit einer Vielzahl an Faser- und Ballaststoffen scheint nach dem neuesten Stand der Mikrobiomforschung wesentlich für die Gesundheit zu sein.
Darüberhinaus scheint die geringe Biodiversität im Lebensumfeld unsere innere Diversität verarmen zu lassen.

Artenverlust hat weitreichende Folgen

Was im Zuge der derzeitigen Pandemie interessant ist: Auch auf den Verlauf einer Covid-19- Erkrankung scheint die fehlende Diversität der Darmbakterien Einfluss zu nehmen. In einer vielbeachteten Studie demonstrierten Forscher der University of Massachusetts sogar, dass die Zusammensetzung des Darm- bzw. Mundhöhlenmikrobioms mit 92- bzw. 86-prozentiger Genauigkeit einen schweren Covid-19-Verlauf anzeigt. Somit sind unser Darm und unsere Gesundheit enger miteinander und mit der Umwelt verwoben, als bisher angenommen.

Fazit

Biodiversität

Schlussendlich liefert Grassberger durch seine umfassende Analyse doch den Schlüssel für viele unserer vieldiskutierten Probleme wie Klimawandel, Pandemie und Artensterben: Diversität, und zwar auf allen Ebenen. Es liegt in unserer Hand, diese zu kultivieren und zu erhalten.

Martin Grassberger
Das unsichtbare Netz des Lebens:
Wie Mikrobiom, Biodiversität, Umwelt und Ernährung unsere Gesundheit bestimmen
Residenz-Verlag, 2021
ISBN: 9783701735358

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