Unsere Landwirtschaft subventioniert den Hungertod

Werner Lampert im InterviewWerner Lampert gilt als Vordenker in Sachen Bio. Mitte der 1990er Jahre brachte er Bioprodukte erstmals in einen öster-reichischen Diskonter und machte so die gesunden Lebensmitteln für viele Menschen zugänglich. Mit dem von der Antroposo- phie geprägten Lampert sprach überLand darüber, warum Bio allein zahnlos wurde, über eine drohende Lebensmittelknappheit und über erstarrte Bauern.

Sie haben 1994 Bio erstmals in den Diskonter gebracht. Wie war damals die Stimmung?

Werner Lampert: Meine Idee war es, jedem Österreicher Bio zugänglich zu machen, und zwar dort, wo er für seinen Tagesbedarf einkauft. In einer guten Qualität. Als ich 1994 diese Idee hatte, gab es in Salzburg ein Biobauerntreffen, mit ein paar hundert Bauern. Ich habe gedacht, die werden mich jetzt feiern und bin so beglückt dahin gegangen. Aber ich bin auf die übelste Weise als der größte Verräter von Bio beschimpft worden. Das hat mich schon sehr irritiert. Und wenn ich meine Arbeit seit 1994 betrachte, dann sind die Biobauern als die großen Sieger hervorgegangen. Sie sind aus dem Ghetto rausgekommen, sie haben einen enormen sozialen Wert erhalten, die Hofläden schreiben heute Umsätze und haben einen tollen Aufbruch erlebt.

Welchen Part hat die Politik damals eingenommen?

Werner Lampert: Die damalige Landwirtschaftpolitik hat durch neue Fördersysteme den Boden für die Bio-Entwicklung aufbereitet, hat bewirkt, dass viele Bauern auf Bio umgestiegen sind.

Und heute?

Werner Lampert: Heute haben wir keine Landwirtschaftspolitik mehr, heute haben wir Verwaltungssysteme. Wir haben heute eine mutlose und vorstellungslose Politik, die keine Ahnung hat, was sie tun soll. Ich empfinde das als große Dramatik. Wir leben heute zwar noch im Überfluss, aber die meisten Menschen, die da unten auf der Straße gehen, werden noch erleben, dass Lebensmittel in Europa knapp werden. Dass es keine Versorgungs-sicherheit mehr geben wird. Das wird in 20 bis 30 Jahren beginnen. Aufgabe der Politik wäre es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit es nicht soweit kommt. Aber Menschen, die weder Mut noch Ahnung haben von dem was sie tun, wie sollen sie was bewegen können?

Birgt die Gemeinsame Argrarpolitik eine Hoffnung?

Werner Lampert: Es ist nicht weiter haltbar, dass wir die Rumänen, Engländer und Bulgaren geringer fördern als die Franzosen oder die Deutschen, die ein riesiges Lobbying haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man so zu einer gemeinsamen Agrarpolitik kommt.

Gibt’s heute für den Bauern noch einen Anreiz auf Bio umzustellen?

Werner Lampert, fotografiert von Robert NewaldWerner Lampert: Es stellt heute kaum mehr jemand auf Bio um. Insgesamt geht es der Landwirtschaft heute sehr gut. In den 1990er Jahren haben viele deswegen auf bio umgestellt, weil sie Angst vor der EU hatten. Sie dachten, es käme die große Katastrophe, da haben sich die Bauern bewegt. Da haben sie überlegt, wie man in Zukunft noch Bauer sein kann. Viele dachten sich, dass Bio eine Zukunft hat, also sind sie auf Bio umgestiegen. Die Fördermittel waren da und so hat es diesen großen Boom gegeben. Heute gibt es keinen wirklichen Grund mehr, die Preise sind nicht schlecht, die Förderungen gut, warum sollten sich die Bauern bewegen?

Weil eine Verantwortlichkeit gegenüber Mensch und Tier, Umwelt und Natur zu erfüllen ist?

Werner Lampert: Zuerst musst einmal Deine Familie ernähren. Das Seltsame ist, dass sich ein Teil der Bio-Landwirtschaft und ein Teil der konventionellen Landwirtschaft genähert haben. Wo ist da die Herausforderung? Wenn man die Rindertierhaltung ansieht: Zahlreiche konventionelle Bauern haben z. B. Haltungsmethoden von den Biobauern übernommen. Zum Teil haben sie’s sogar besser gemacht.

Bei den Schweinen und Hühnern ist das wohl nicht so?

Werner Lampert: Das müsste man differenzierter betrachten. Bio kann heute keine großen Aufbruchsimpulse mehr schaffen. Inhaltlich und in der Methode ist viel übernommen werden. Eine Ernährung werden wir hier in Europa nur mehr haben, wenn uns eine nachhaltige Landwirtschaft gelingt. Bio und Nachhaltigkeit sind ja nicht deckungsgleich, das sind ja zwei verschiedene Wege. Es könnte sein, dass die konventionelle Landwirtschaft die Biolandwirtschaft in der Nachhaltigkeit überholt und dann wird Bio keine Zukunft mehr haben. Wenn es Bio nicht schafft, deckungsgleich mit der nachhaltigen Landwirtschaft zu werden, dann hat Bio keine Zukunft mehr. Das sind die Herausforderungen. Wir haben Bioverbände, die schlafen, und keine Ahnung haben, von dem was sie tun. Die ihre Pfründe verwalten. Wir haben eine Landwirtschaftspolitik, die auch keine Perspektive mehr hat. Ich sehe das schon dramatisch. Und dennoch: es gibt keine Alternative zur nachhaltigen Biolandwirtschaft.

Also wird es keine Bio-Tomaten mehr im Winter geben?

Werner Lampert: Das sind nicht die Entschei-dungen über Nachhal-tigkeit. Ob da ein paar Tomaten aus Italien oder Marokko dabei sind.

Wie geht man mit Energie um? Die Bio- Tomaten kommen auch aus österreichischen Glashäusern, nicht nur aus dem Ausland.

Werner Lampert: Das ist ein dennunziatorischer Ansatz und so leicht dahin gesagt; da wird sich Nachhaltigkeit nicht entscheiden. Wenn einer Lust hat, eine Tomate aus Marokko zu essen, dann soll er das tun.

Was sind dann die Entscheidungen über Nachhaltigkeit?

Werner Lampert: Das meiste, dass der Bauer verwendet, kommt aus der Petroindustrie. Oder das Futter, mit dem die Tiere gefüttert werden, kommt aus Südamerika. Die konventionelle Landwirtschaft karrt ihre Mittel von der ganzen Welt zusammen. Die Landwirtschaft ist verletzbar vom Klimawandel, von internationalen Krisen, sie arbeitet so wie im 19 Jahrhundert, so wie früher der Kolonialismus funktioniert hat. Beispiel die Ausbeutung von Südamerika, das ist Landwirtschaft heute, das macht keinen Sinn.

Es heißt, Bio-Anbauflächen seien nicht so ertragreich wie im Vergleich konventionelle. So müssten viele Produkte in Drittländern produziert werden, was den Menschen dort wieder an Anbaufläche fehlt, um sich selbst versorgen zu können. Ein indirektes Landgrabbing.

Werner Lampert: Was soll das heißen? Bio-Anbauflächen sind nicht so ertragreich? Wie kommt der Ertrag auf einer konventionellen Fläche zusammen? Jede Bio-Fläche ist weitaus ertragreicher als eine konventionelle. Sie braucht keinen Dünger, sie braucht keine Petro-Industrie, keine Pestizide, nicht dieses Teufelsklumpert, das einen Haufen Geld kostet. Da müssen Kriege geführt werden, damit diese Form der Landwirtschaft ertragreich ist. Schauen Sie die Realität an, jede Bio-Landwirtschaft ist konkurrenzfähig. Die konventionelle beruht doch auf einer Illusion: Der Ertrag existiert ja nicht, der Bauer betreibt keine nachhaltige Landwirtschaft, sodass auch in Zukunft ein Ertrag raus kommt. Der Ertrag wird über Düngemittel und Pestizide, über alles das Gott verboten hat, bewerkstelligt. Was ist das für ein Ertrag?

Und wenn wir uns z. B. Afrika ansehen, wo China und Indien unerhörte Flächen aufkaufen, um ihre Bevölkerung zu ernähren. Die Menschen, die bis dato dort gewohnt haben, werden vertrieben, in den Hunger getrieben. Wir subventionieren den Hungertod dort. Das ist doch verrückt!

Wird der Zugang zu Lebensmitteln auch bei uns schwieriger werden?

Werner Lampert: Wer den Lebensmittelmarkt beherrscht, wird die Welt beherrschen. Die Gentechnik, die Patente das sind doch alles schon Machtapparate. Jetzt will man Afrika weiss machen, man kann sie nur ernähren, wenn mehr Gentechnik hineingeführt wird. Wenn die kleinen Bauern enteignet werden, sie nicht mehr die Möglichkeiten haben, die Produktionsmittel in der Hand zu haben, um sich ernähren zu können. In Afrika passiert das Ärgste überhaupt. Unser Ausbeuteverhalten ist die größte Gefahr für unsere Welt. Wir brauchen nur ansehen wie wir mit den Viechern umgehen. Wir schneiden ihnen die Hörner ab, stecken ihnen die Proteine rein, die sie gar nicht vertragen. An denen sie nur verrecken. Wollen wir mit den Viechern leben, dann müssen wir viel verändern in unserem Umgang.

Was soll verändert werden?

Werner Lampert in seinem BüroWerner Lampert: Wir brauchen eine Verant-wortungsethik, speziell In der Landwirtschaft: Der Bauer muss verstehen, dass er für die Gesundheit für viele Menschen ver- antwortlich ist, auch für die Erholung, für die Kulturlandschaft. Und der Konsument muss ver- stehen, dass er für den Preis, den er zahlt, ver- antwortlich ist für die wirtschaftliche Existenz der Bauern. In diesem Verhalten muss sich was ändern. Unser heutiges Kaufverhalten zielt nur darauf ab, dort einzukaufen, wo es billiger ist und schneller geht. Die Verbindung zwischen Konsument und Produzent ist längst zerbrochen. Aber hinter jedem Lebensmittel steckt ein konkreter Bauer, eine konkrete Familie. Ein konkreter Hof.

Die soziale Verantwortung, die Sie ansprechen, ist in der Schweiz viel ausgeprägter als bei uns. Warum ist das so?

Werner Lampert: Es gibt in der Schweiz die Maxime, dass im Notfall die Schweizer Bauern, die Schweizer Bevölkerung ernähren können. Die Schweizer Landwirtschaftspolitik unterstützt diesen Grundsatz. Das schafft ein ganz anderes Verhältnis zwischen Konsumenten und Bauern, das ist ja diese Verantwortung, von der ich vorhin gesprochen habe. Die Schweizer haben diese Situation bereits in den ersten beiden Weltkriegen erlebt, nichts ging raus, nichts kam rein. Sie waren abgeschotet. Dieses Bewusstsein lebt im Volk weiter. Es wird zwar bei uns keine Kriege mehr geben, aber knappe Lebensmittel.

In den nächsten Jahren steht bei den Bauern der große Generationenwechsel bevor, werden sich nur mehr die großen Betriebe durchsetzen können?

Werner Lampert: Also ich hoffe nicht, denn die kleinen Bauern sind unser Kapital, unser Stolz, die großen sind krisenanfällig.

Welchen Tipp geben Sie Bauern mit?

Werner Lampert: Eine wirkliche, radikale Biolandwirtschaft zu betreiben. Nicht so, wie es die Bioverbände vorgeben, sondern eine radikale. Und seine Verantwortung in den Mittelpunkt stellen. Der Bauer muss sich um den Konsumenten kümmern und in einen Dialog mit ihm treten, ihn gut verstehen. Dann wird er eine große Zukunft haben.

Ich danke für das Interview.

Werner Lampert gründete das Biolabel „Ja! Natürlich“ und die Marke „Zurück zum Ursprung“. Er führt in Wien die Werner Lampert Beratungsges.m.b.H, die sich mit der Entwicklung und Umsetzng von Lebensmittelprojekten beschäftigt. Des Weiteren ist er Autor zweier Bücher mit dem Titel „Schmeckt’s noch?“ und „100 Lebensmittel, die Sie glücklich machen“.

Alle Fotos: ©Robert Newald. Porträtfoto von Newald: ©Joe Malina

Zu Robert Newald

Der bekannte Pressefotograf Robert Newald, arbeitet u. a. für die Zeit, die Süddeutsche, den Tagesanzeiger Zürich oder den Standard. Seit 30 Jahren steht er mitten im Zeitgeschehen, brachte Persönlichkeiten wie Michael Gorbatschov, Jane Birkin, Martin Scorsese oder Isabelle Huppert ins rechte Licht. Er gewann zweimal den APA Photopreis (2006 und 2008) in der Sparte Kunst und Kultur. Weitere Arbeiten von Robert Newald sind auf seinem Fotoblog zu sehen.

Ein Gedanke zu „Unsere Landwirtschaft subventioniert den Hungertod

  • 11. Mai 2012 um 13:09 Uhr
    Permalink

    danke für das interview mit und die fotos von einem faszinierenden menschen!

    lg, brigitte

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