Winzer Philipp Rieger: „Die Krise lehrt uns: Es geht auch anders.“

Philipp Rieger

Vor sieben Jahren gab es auf über_Land ein Interview mit Jungwinzer Philipp Rieger vom Weingut Rieger aus dem Markgräflerland (Baden Württemberg). Seit damals hat sich viel bei ihm ereignet. Eine schwere Krankheit hat alles überschattet, doch er konnte die Krise überwinden, schöpfte daraus enorme Kraft, die er wiederum in die Weiterentwicklung seines Weingutes steckte. Diese Krisenerfahrung stärkte ihn auch in den letzten Monaten des Corona-Lockdowns.

Wie hast Du die letzten Monate im Corona Lockdown erlebt?

Philipp Rieger: Wir waren erstmals geschockt, weil wir nicht absehen konnten, wie sich der Weinmarkt entwickelt, insbesondere in der Gastro und im Export. Wir wussten nicht, wie es mit uns weitergeht. Die Schockstarre hat 14 Tage gedauert, dann wurden wir kreativ: Wir haben Youtube-Videos gemacht, sind auf diverse Händler zugegangen, haben Online Proben im Netz angeboten usw. Glücklicherweise haben unsere Privatkunden die Zeit genutzt, zu Hause zu kochen und auch ein Glas Wein zu trinken. In diesem Bereich hat sich unser Absatz gestärkt, wodurch wir insgesamt mit einem blauen Auge davongekommen sind. Jetzt geht es wieder aufwärts.

Wir haben vor sieben Jahren unser letztes Interview geführt. Kurze Zeit später hat Dich eine schlimme Nachricht ereilt. Wie bist Du damit umgegangen?

Philipp Rieger: Vor 7 Jahren bekam ich Schmerzen in der Wirbelsäule. Ich begann zu turnen, das hat nichts geholfen. Es war Anfang Juni, als bei mir Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert wurde. Ich hatte Chemo und hab alles gut überstanden, aber es war ein Einschnitt in meinem Leben, der mich nachhaltig geprägt und verändert hat. Meine gute, große Familie hat mir durch die Zeit geholfen. Zu dieser Zeit waren meine Kinder noch klein, ich musste für sie da sein. Es war wichtig, wieder gesund zu werden.

Was hat sich durch diese Krankheit bei Dir verändert?

Philipp Rieger: Ich bin in vielerlei Hinsicht gelassener geworden und sehe vieles mit mehr Abstand. Ich rege mich weniger über Kleinigkeiten auf und versuche, das Gute zu sehen. Alles in allem geh’ ich gestärkt aus dieser Situation raus.

Ich hab’ auch viel über das Weingut nachgedacht, wie es weitergehen soll. Ende 2013 übernahm ich den Betrieb, dann war ich 2014 in der Kur und lernte dort einen Architekten kennen. Und da haben wir gemeinsam neue Pläne für das Weingut entworfen. Wir haben lange geplant. Jetzt sind wir mit unserer neuen Vinothek und den Kellerräumen fertiggeworden.

Wir sind auch im Weinberg gewachsen. Aktuell vermarkten wir 20 Hektar. Vor sieben Jahren waren es noch 4 Hektar. Das ist eine schöne Entwicklung. Ich bin hochzufrieden.

Vor sieben Jahren gab es auf über_Land einen Schwerpunkt zu veganem Wein. Ist das heute noch ein Thema?

Philipp Rieger: Das ist nicht mehr so ein Thema; es hat sich etabliert. Alle unsere Weine sind vegan. Wir werden auch in Zukunft nicht mehr zu tierischen Eiweißen zurückkehren.  

Was uns sehr wichtig ist, ist der biodynamische Effekt. Unsere Weine werden dadurch immer charaktervoller, die unterschiedlichen Lagen spiegeln sich darin wieder. Unsere Weine brauchen wenig Input und keine kosmetischen Eingriffe. Sie brauchen nur handwerkliches Geschick und Aufmerksamkeit, was das Terroir angeht, und das Erkennen des richtigen Zeitpunktes, um sie umzulagern. Wir begleiten eigentlich nur mehr die Weine und wir werden immer besser dabei. Internationale Weinkritiker haben uns auf dem Radar, wir haben bei Gault Millau zwei Trauben und sind bei Falstaff Vinum gelistet. Wir sind glücklich, dass uns unsere Kunden als junges, hochqualitatives Weingut wahrnehmen.

Weingut Rieger, Philipp Rieger
Die neuen Weinberge am Staufener Schlossberg, eine der besten Lagen im Markgräflerland.

Du hast auch einen eigenen Kellermeister. Der Falstaff schreibt über Euch beide, dass Ihr mit großem Ehrgeiz und ebenso viel Geschick an Euren Weinen feilt.

Philipp Rieger: Seit 2013, als ich die Krankheit hatte, arbeitet Kellermeister Markus Brauchle bei uns. Wir sind auf der gleichen Wellenlänge und wir probieren alle Weine gemeinsam. Ich habe größtes Vertrauen in seine Fähigkeiten. Wir haben auch noch einen Winzer angestellt und sind mittlerweile ein Haufen bunter, junger Leute.

Wer ist Dein Favorit unter Euren Weinen?

Philipp Rieger: Der Graue Burgunder SR Alte Rebe 2018 ist was ganz Besonderes: Er stammt aus der Anlage, die noch mein Großvater 1966 gepflanzt hat. Es sind unsere ältesten Reben. Wir sind glücklich über einen so alten, seltenen Bestand. Wenn man durch die alten Reben geht, spürt man: Da gibt es nichts Vergleichbares. Die Trauben werden von Hand gelesen, leicht angequetscht und 24 Stunden auf der Schale ziehen gelassen, damit die Farbe von der Schale mit in den Most kommt. Das ist dann eine dunkelbronzene, violette Farbe. Wenn die Meische dann auf die Presse kommt, da läuft es fast schon als Rosé von der Presse runter. Und ein bisschen von der Farbe bleibt bestehen. Da hat man später einen Wein mit einem kräftigen Rosé-Schimmer im Glas. Nach dem Pressen kommt der Wein in verschiedene Holzfässer. Dort durchläuft er eine Spontangärung ohne Zusatz von gekauften Hefen. Er hat eine lange Hefelagerung und kommt dann knapp ein Jahr später in die Flasche.

Als Winzer musst Du viel Zeit auf Messen und Präsentationen sein, um Deine Weine bekannt zu machen. Wie schaffst Du den Spagat zwischen Privatleben und Arbeit?

Philipp Rieger: Als Winzer ist man im Weinberg, im Keller, auf Messen  – überall sollte man präsent sein. Meine Wochenenden waren schon alle verplant, dann kam Corona und jetzt habe ich viel Zeit für die Familie. Ich genieße das. Corona lehrt uns: O.k. es geht auch anders. Und wir sollten uns Gedanken machen, was uns wirklich etwas bringt.

Ich kann im Moment auf ein gutes Team zurückgreifen, damit ich nicht alles alleine machen muss. Wir werden aber in Zukunft sicher nicht mehr alles machen, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, um einfach wieder mehr Privatleben zu haben.

Was würdest Du einem angehenden Jungwinzer auf seine berufliche Reise mitgeben?

Philipp Rieger: Steckt Euch Eure Ziele und verfolgt sie. Glaubt an Euch. Macht Euch einen Plan und kalkuliert ihn durch. Seid überzeugt, dass Eure Produkte und Eure Arbeit etwas wert sind. Und seid nicht zu günstig. Ihr werdet die Kunden finden, die Eure Preise und Produkte respektieren.

Ich danke für das Gespräch.

Über Philipp Rieger

2001 entschließt sich Philipp Rieger in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten und beginnt die önologische Ausbildung. Nach dem Praktikum in der Toskana (2004), der Fortbildung zum Winzermeister (2008) übernimmt er schließlich 2013 das Weingut in Buggingen-Betberg.

Alles Fotos/Video: ©Philipp Rieger

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