Teller statt Tonne: Über den Wert der Lebensmittel

Im Müll statt auf dem Teller landen bei uns zu viele Lebensmittel. In Deutschland sind es bis zu 20 Millionen Tonnen, die jährlich weggeworfen werden. „Teller statt Tonne“ heißt die Aktion gegen Lebensmittelverschwendung, die am 10. September in Berlin stattfinden wird, eine Woche später in Stuttgart. Die Aktion soll nicht nur auf das negative Verbraucherverhalten hinweisen, sondern es werden auch Alternativen gezeigt. überLand sprach mit einem der Aktivisten von „Teller statt Tonne“, Hendrik Haase.

Was passiert bei „Teller statt Tonne“?
Hendrik Haase: In Berlin werden wir auf dem Dorothea-Schlegel-Platz am Reichstagsufer lange Tafeln aufbauen und alle Interessierten zu einer gemeinsamen Mahlzeit und zu einem Tischgespräch einladen. Wir wollen miteinander essen, genießen, diskutieren und uns auszutauschen.
Wir werden am Tag zuvor Erntereste bei Landwirten aus dem Umland sammeln und sie zum Veranstaltungsort transportieren. Bis zu 400 kg Kartoffeln und Gemüse werden es jeweils sein, die wegen ihrer Über- oder Untergröße oder kleinen Mäkeln nicht den Normen des Lebensmittelhandels entsprechen. Daraus werden wir zusammen mit dem Aktionskoch Wam Kat etwas Leckeres für die Gäste an der Tafel zaubern.
Die Zutaten werden bei Bauern, die engagiert hinter der Aktion stehen in Berlin auf dem Obst- und Gemüsehof Teltower Rübchen in Teltow und dem Vierfelderhof in Berlin-Gatow eingesammelt.

Anschließend wird es ein Tischgespräch geben, wer wird daran teilnehmen? Mit welchem Ziel?

Hendrik Haase: Das Tischgespräch ist eine Diskussion zum Thema mit Vertretern aus Landwirtschaft, Kirche, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Dabei sind unter anderem Ilse Aigner, Bundesministerin BMELV (angefragt), Prälat Dr. Bernhard Felmberg, der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Carlo Petrini, Präsident Slow Food International, Flavia Buitrón Vda. de Palomino aus Peru, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Bundesvorsitzender Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Georg Kaiser, Geschäftsführer BioCompany, Dirk Löhmer, Geschäftsführer Cofresco Frischhalteprodukte GmbH&Co. KG , Jörg Kretzschmar, Vierfelderhof, Axel Szilleweit, Obst- und Gemüsehof Teltower Rübchen, und weitere Vertreter aus Wirtschaft und Landwirtschaft. Das Tischgespräch werden Elisabetta Gaddoni, Journalistin und Valentin Thurn, Filmemacher (u.a. Taste the Waste) moderieren.
In der Diskussion wird es darum gehen Zusammenhänge darzustellen und die Konsequenzen unseres Ernährungs- und Wirtschaftsverhaltens für die Menschen hierzulande und vor allem in anderen Ländern aufzuzeigen. Nicht zuletzt wird es um die Situation der Produzenten und der Natur gehen auf die dieses Verhalten auch ihre Auswirkung hat.

Was wollt Ihr insgesamt mit dieser Aktion bewirken?
Hendrik Haase: Wir schmeißen in Deutschland mehr als 50 Prozent aller Lebensmittel, die produziert werden, weg. Das sind allein in Deutschland mehr als 20 Millionen Tonnen im Jahr – Lebensmittel, die eigentlich auf den Teller gehören und eben nicht in die Tonne.
Mit unserer Aktion wollen wir aufmerksam machen und ein Bewusstsein für diese Problematik schaffen. Überfluss auf der einen, Hunger auf der anderen Seite passt für uns überhaupt nicht zusammen und das gehört diskutiert und geändert. Wir wollen die Menschen aufmerksam machen, was mit unseren Lebensmitteln passiert. Dabei geht es auch um die Wertschätzung von Lebensmitteln, um unsere Ernährungs- und Konsumgewohnheiten und die Folgen für Natur und Landschaft.

Wen wollt Ihr konkret mit „Teller statt Tonne“ ansprechen?

Hendrik Haase: Jeden, der isst. Jeden, der mit Lebensmitteln zu tun hat. Nach unserer Ansicht können alle dazu beitragen, dass die „Vermüllung“ von Lebensmitteln gestoppt wird: Erzeuger, Handel und Politik, aber vor allem auch wir Konsumenten.
Bei Slow Food nennen wir uns statt Konsumenten Ko-Produzenten. Die Bezeichnung soll zeigen, dass wir eine Verantwortung dafür haben, wie unsere Lebensmittel hergestellt werden. Wir bestimmen durch unser Verhalten wie viele essbare krumme Gurken für eine gerade Gurke auf dem Müll landen oder eben nicht.

Slow Food wurde in den letzten Jahren zum Inbegriff für guten Geschmack und ist bei dieser Aktion als einer der Initiatoren vertreten. Ist der gute Geschmack nicht ein Widerspruch zur Aktion „Teller statt Tonne“?
Hendrik Haase: In deiner Frage versteckt sich ein beliebter Denkfehler. Das, was weggeschmissen wird, ist kein Abfall, kein fauliger Müll! Es sind alles Lebensmittel, die noch völlig genießbar sind, die nur aus dem System fallen. Sie entsprechen schlicht nicht den Standards des Handels. Sie sind entweder zu groß, zu klein, oder zu krumm, haben kleine Macken, sind aber sonst völlig in Ordnung.
Warum sind Kartoffeln nicht genießbar, nur weil sie die Normgröße eines Supermarktes nicht mehr erfüllen? Und was macht ein Brötchen um 18.01 Uhr nicht mehr genießbar wo es doch um 17:59 noch genießbar war? Trotzdem wandert alles um 18:00 Uhr kurz nach Ladenschluss in die Mülltonne.
Teller statt Tonne: Hendrik HaaseWenn man den Gedanken von Slow Food nur auf den guten Geschmack reduziert, vergisst man die Zusammenhänge, denn die Auswirkungen der Verschwendung und des einhergehenden Wertverlustes von Lebens-Mitteln sind gravierend. Durch Normierung und industrielle Massenproduktion von standardisierten Produkten verlieren wir jeden Tag ein Stückchen Geschmacksvielfalt. Auf der anderen Seite wachsen die Müllberge. Produzenten von besonderen Geschmäckern haben in diesem „Standart“-System kaum mehr einen Platz. Es hängt also alles zusammen.
Slow Food hört nicht beim guten Geschmack auf, sondern bezieht viele Aspekte mit ein und will die Grundlage für guten Geschmack erhalten! Zum Guten Geschmack gehört es für uns also auch mit Verantwortung und wachem Geist zu genießen.

Berlin ist die erste Stadt, wo „Teller statt Tonne“ stattfinden wird; eine Woche später folgt Stuttgart. Wird die Aktion in weiteren Städten Deutschlands angedacht? Könnte sie auch auf Österreich und die Schweiz ausgedehnt werden?
Hendrik Haase: Es finden weitere Aktionen zum Thema Lebensmittelverschwendung begleitend zum Kinostart von Taste the Waste (Dokumentarfilm von Valentin Thurn über die Wirklichkeit der globalen Lebensmittelverschwendung und deren Lösungsansätze) in vielen Städten in Deutschland statt – bis in den Oktober hinein. Unter dem Slogan „Teller statt Tonne“ finden allerdings nur Aktionen in Berlin und Stuttgart statt.
Selbstverständlich könnte das Veranstaltungsformat auf Österreich und die Schweiz ausgedehnt werden, denn diese Probleme sind auch dort präsent. Ich erinnere mich gerade an den Satz aus dem Film We feed the World „Das Brot, das täglich in Wien weggeworfen wird, reicht um ganz Graz zu versorgen“.

Mit dieser Aktion macht Ihr auf die Lebensmittelverschwendung aufmerksam. Was soll sich konkret ändern?
Hendrik Haase: Ich will noch mal betonen, dass es vor allem um die Macht des Verbrauchers geht. Ich denke, es wird sich nur etwas ändern, wenn die Nachfrage und das Bewusstsein bzw. das Verständnis für die Problematik da ist. Wenn weiterhin alle erwarten, dass bis zum Ladenschluss alle Regale voll sein müssen und dass alle Tomaten Rot, rund und die gleiche Größe haben bzw. alle Gurken gerade und makellos grün sein müssen, werden weiterhin Tonnen auf dem Müll landen. Einkäufer werden die kleine Kartoffeln gar nicht erst einkaufen und Bauern Teile ihrer Ernte vernichten.
Wir sollten wieder lernen, was man z. B. mit einem etwas älteren Brot, übriggebliebenen Resten oder einer etwas größeren Zucchini anstellt. Die Beschäftigung mit dem Essen, seiner Herkunft und seiner Produktion ist eine wichtige Voraussetzung für eine konkrete Veränderung.

Du selbst bist Blogger und Slow-Food-Mitglied. Warum unterstützt Du persönlich mit großem Einsatz diese Aktion?
Hendrik Haase: Wenn mir ein Brot nichts mehr wert ist, schmeiße ich es leichter weg. Wenn ich weiß, wie lange mein Bäcker dafür gebraucht hat, es zu kneten und backen, wenn ich weiß, wie es entstanden ist, mit welchen Zutaten gebacken und gewürzt wurde, dann wird es noch schwieriger es einfach wegzuschmeißen.
Die Verschwendung von Lebensmitteln hat für mich unmittelbar mit verlorenem Wissen und verlorener Wertschätzung gegenüber den Produkten und den Produzenten zu tun. Mit meiner Arbeit und meinen Aktionen versuche ich Wissen und Wertschätzung zu reaktivieren, sodass wir wieder ein Verständnis für diejenigen bekommen, die das Essen herstellen. Der Bäcker, der Metzger und der Bauer. Deswegen unterstütze ich die Aktion.

Danke für das Gespräch.

Hendrik Haase ist Künstler, Kommunikationsdesigner und betreibt den Blog wurstsack

über_Land

Der Blog über_Land beschäftigt sich mit innovativer Landwirtschaft in der Stadt und auf dem Land. Themen wie Urban Farming, Vertical Farming, Aquaponic stehen genauso im Vordergrund. Der Blog geht aber auch der Frage nach, wie Gemeinden für ihre Bewohnerinnen und Bewohner neue, qualitätsvolle Konzepte entwickeln, wo Wohnen, Leben und Arbeiten möglich wird. Der Blog ist seit 2011 online. Gründerin und Herausgeberin ist Barbara Kanzian. Erfahren Sie mehr über sie auf ihrer Unternehmens-Website.

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